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REFRAKTOMETRIE – Teil 1

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Vorwort und Inhalt

Teil 1: Einblick in ein Handrefraktometer bis über die Grenzen des Verstehens: ein Tagebuch

Dr. Martin Novotny und das Berzelius-Team der PHSG
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Warum ist der Himmel blau? Wie sieht es auf dem Mond aus? Warum regnet es? Ab drei Jahren fragen Kinder den Eltern Löcher in den Bauch. Später hört das wieder auf. Das liegt unter anderem daran, dass wir uns aus der Deckung der Unwissenheit wagen müssen, sobald wir eine Fragen stellen. Durch die Frage geben wir Preis, dass wir nicht wissen. Dabei steht das Ego im Weg. Scheinbar sind wir von lauter Menschen umgeben, die mehr wissen und schlauer sind. Mehrheitlich sind meine GesprächspartnerInnen genau so unwissend wie ich. Nicht auf den jeweiligen Spezialgebieten, aber besonders darin, interdisziplinäre Zusammenhänge zu erkennen. Das gilt vermutlich auch für deine Eltern oder LehrerInnen.

In diesem Berzelius-Laborjournal (BLJ) versuche ich zu verstehen, wie eines der simpelsten Messgeräte aus unserem Hightech-Labor funktioniert, das Handrefraktomer. Dabei muss ich die bittere Erfahrung machen, zu erkennen, wie wenig ich weiss. Ich suche Rat bei Spezialisten. Aber auch die sind hin und wieder ratlos und erzählen mir Zweifelhaftes. Auf der Suche nach Antworten, Verständnis und Erkenntnis ist dieses Tagebuch entstanden.

Folge dem Haupterzählstrang, wenn du nur erfahren möchtest wie das Refraktometer funktioniert. Begib dich auf die Pfade der Nebenerzählstränge, um manch interdisziplinären Fragestellungen zu folgen, die sich während der Recherchen ergaben. Sie berühren die Disziplinen Wirtschaft, Biologie, Physik, Chemie, Psychologie und natürlich die Philosophie. Ist es möglich, dass wir überhaupt etwas bis ins letzte Detail verstehen? Gibt es auf jede Frage eine Antwort?

Mein Fazit: Stelle Fragen! Nicht nur an deine subjektiven Mitmenschen sondern auch durch objektives Experimentieren. Das Experiment ist nichts anderes als eine Frage an die Natur. Für komplexere Fragestellungen braucht es Mess- und Analysengeräte. Das Hightech-Labor der Naturwissenschaften des Projekts Berzelius stellt sie dir für deine Fragen an die Natur zur Verfügung. Du kannst schwer etwas Neues herausfinden, wenn du nicht vorher eine Frage gestellt hast!
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Falls du dich in den verzweigten Nebenerzählsträngen dieser Geschichten verirren solltest, dann hilft dir diese Landkarte beim Orientieren. Lade sie herunter und greife bei Bedarf darauf zurück.
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Einleitung

Im mobilen Hightech-Labor des Projekts Berzelius gibt es ein vollautomatisches Refraktometer der Firma Anton Paar und ein rein optisches Handrefraktometer, wie es beispielsweise Winzer zur Bestimmung des Zuckergehalts in Trauben verwenden, um den richtigen Zeitpunkt der Ernte zu ermitteln.

Für dieses BLJ habe ich mir vorgenommen eines unserer Analysengeräte bis ins letzte Detail verstehen zu lernen. Das mit Elektronik voll gestopfte automatische Gerät zu durchleuchten, ist zu komplex. Wahrscheinlich bräuchte ich mehrere Jahre und tausende Seiten, um nur einen einzigen Rechenchip dieses Gerätes zu verstehen und zu beschreiben.

Darum wähle ich das mir simpel scheinende Handrefraktometer und habe die Hoffnung, es komplett zu verstehen und auch dir näher bringen zu können.

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Kann ich das Handrefraktometer zerlegen und wieder zusammenbauen, ohne es zu beschädigen?
Die Preise verschiedener Handrefraktometer betragen zwischen 100 und 400 € in Europa. In chinesischen Online-Shops gibt es das Gerät bereits für 5 US $. Auf AliExpress bestelle ich zum Zerlegen ein Handrefraktomter für 8 US $. Die gute Qualität überrascht mich und führt mich zu meiner ersten Frage: 

Frage: Wie kann der Preis des Handrefraktometers aus China so tief sein? Die Beförderung des Paketes innerhalb der Schweiz kostet bereits 7 CHF.
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Handrefraktometer anwenden und kalibrieren

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Bevor ich das Handrefraktometer zerlege, zeige ich dir in diesem Video eine mögliche Anwendung. Dazu besuchen wir den Kirschsortengarten von Sevelen SG.
(Pfeil links unten anklicken!)

Bei der Verkostung der Kirschsorten fällt mir auf, dass viele reife Kirschen hässliche Narben haben, und gerade diese Früchte besonders süss schmecken.

Frage: Warum platzen reife Kirschen auf?

Und dann verstehe ich nicht, für was ein Sortengarten benötigt wird.

Frage: Weshalb werden in Sevelen mehr als 200 Bäume bewirtschaftet, um rund 100 lokale Kirschsorten zu bewahren? Können nicht einfach Kirschkerne konserviert werden?

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Um zuverlässige Messwerte zu erhalten, müssen Messgeräte regelmässig kalibriert werden. Das wird bereits im Berzelius-Laborjournal der Röntgenfluoreszenzanalyse ausführlich thematisiert. Das Handrefraktometer kalibrieren wir am einfachsten mit reinem Wasser (0 Brix) oder besser mit einer Wasser-Zucker-Lösung im Bereich des zu erwartenden Messwerts. (Pfeil links unten anklicken!)

Brix war mir bisher nicht bekannt; es ist keine SI-Einheit, und ich frage mich, welche unterschiedlichen Konzentrationsangaben noch existieren.

Frage: Was ist der Unterschied zwischen Brix, Massenanteil, Volumenkonzentration, Stoffmengenkonzentration (Molarität) oder Molalität, und auf was muss ich dabei achten?

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Grundlagen

Gleich soll es losgehen, mit dem Verstehen lernen eines Handrefraktometers. Zuerst muss das Ziel absteckt werden. Es geht hier lediglich um das Verständnis der Funktionsweise. Mit diesem Wissen kannst du noch lange kein Handrefraktometer mit der Präzision des 8-$-Gerätes nachbauen.

Vermutlich gibt es keine Person, die das Wissen und die Fertigkeit hat, um nur ein Kunststoffgehäuseteil des Refraktometers eigenständig zu produzieren. Diese Person müsste beispielsweise Erdgas fördern, zu Kunststoff polymerisieren, die nötigen Zusatzstoffe beimischen, damit der Kunststoff verarbeitbar ist und als Bauteil die gewünschten langlebigen Eigenschaften hat. Als nächstes bräuchte sie eine Gussform. Aus Eisenerz und Kohlenstoff müsste sie Stahl herstellen, um daraus eine Form zu fräsen. Ein Fräser müsste her … Eine schier endlose Kette an Produktionsmitteln und Produktionsschritten, die ein unvorstellbares Wissen und Können voraussetzt. Nur um ein kleines Kunststoffspritzgussteil mit wirtschaftlichem Wert von wenigen Rappen herzustellen.

Wie komplex ist erst das Wissen, um ein Smartphone herzustellen? Unsere Errungenschaften und unser Wissen sind kollektive Werte unzähliger Generationen, die ohne Sprache oder Bildung nicht vorhanden wären. Stell dir vor du landest auf einen erdgleichen Planeten ohne Menschheit. Du würdest vermutlich keinen Tag überleben.

In der Ubuntu-Philosophie der Bantuvölker im südlichen Afrika gibt es ein passendes Sprichwort: «Ich bin, weil wir sind». Darüber ist sich offensichtlich nicht jeder bewusst. Das wurde mir während der Corona-Pandemie erst klar.

Ich bin vom Thema abgedriftet. Es geht hier um das Verständnis des Handrfraktometers und um die Tiefe des Verstehens.

Frage: Kann überhaupt irgendetwas bis ins letzte Detail verstanden werden?

Ich fange jetzt einmal mit dem Verstehen an und gehe dabei vor wie der Welterklärer aus der Sendung mit der Maus, Armin Maiwald: «Wir fangen mit etwas Bekanntem an und gehen Stückchen für Stückchen weiter.»
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Aus welchen Teilen besteht das Handrefraktometer und wie ist es aufgebaut? In diesem Video zerlege ich das rein optische Messgerät in seine Einzelteile.

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Was?

Handrefraktometer

in einem Stück.

Prisma

mit blau lackiertem Boden und Seitenflächen.

Plankonvexe Sammellinse

in einem Gehäuse plus Schraube und Feder zum Verschieben und damit Kalibrieren.

Skala

Bei diesem Gerät links der Zuckergehalt in Brix und rechts die Dichte von einer Bier-Stammwürze. Es gibt Handrefraktometer für unterschiedliche Anwendungen wie z. B.: Salzgehalt, Wassergehalt in Honig, Oechsle, Alkoholgehalt, Äthylen-, Propylenglycol-Gehalt oder der Säurekonzentration in Batterien etc.

Lupe

besteht aus zwei plankonvexen Sammellinsen im fixen Abstand. Die Scharfstellung erfolgt über den einstellbaren Abstand zur Skala mit einem Gewinde am Gehäuse.

Diffusor

Die flüssige Probe wird damit gleichmässig auf der Prismenoberfläche verteilt.

Gehäuse

für das Prisma und die verstellbare Sammellinse.

Abdeckkappe

der Kalibrierschraube.

Gehäuse

und Abstandshalter für die Skala.

Augenmuschel

des Okulars.

Rutschfester Überzug

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Für das weitere Verständnis braucht es ein paar physikalische Grundlagen. Licht ist elektromagnetische Strahlung und zeigt vielfältige Phänomene, die derzeit mit drei gänzlich unterschiedlichen Modellen erklärt und berechnet werden. Licht ist Licht, aber wie wir es uns vorstellen (modellieren) hängt von dem betrachteten Phänomen und der gewünschten Beschreibungstiefe ab.

Das Strahlenmodell kann beispielsweise verwendet werden, um die Lichtbrechung zu modellieren, das Wellenmodel, um die Beugung und das Teilchenmodell um den photoelektrische Effekt zu erklären. Wie also die Solarzellen auf unserem Hausdach funktionieren.

Physik hat nichts mit Wahrheit oder Wirklichkeit zu tun, sondern mit Hypothesen, Versuchen, Experimenten und Modellvorstellungen. Im folgenden Video (von simpleclub) werden die drei Modelle des Lichtes thematisiert.
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Licht = Welle, Strahl oder Teilchen?!?

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Trifft ein Lichtstrahl der Sonne auf das Handrefraktometer, wird er einige Male gebrochen, bis er in unser Auge fällt. Das folgende Video (von LEIFIphysik) erklärt die Lichtbrechung und das snelliussches Brechungsgesetz.

Das Video zeigt auch was Physik bzw. Naturwissenschaften leisten. Nichts anderes als eine modellhafte Beschreibung von Beobachtungen, mit dem Ziel, Vorhersagen zu machen, aber keine Wahrheiten zu liefern! Der Weg der Photonen hat rein gar nichts mit der gezeigten Hantel und der unterschiedlich rauhen Oberflächen zu tun. Dieses Modell erklärt jedoch zumindest teilweise das Phänomen der Lichtbrechung und der reduzierten Lichtgeschwindigkeit in optischen Medien. Es versagt gänzlich bei der Vorhersage, wie viel Licht reflektiert und gebrochen wird. Das immer beides passiert wird in diesem Video gezeigt. Dieses Phänomen lässt sich mit der sogenannten klassischen Physik nicht erklären.

Frage: Wie erklärt sich dann, dass ein Teil des Lichtes, z. B. an der Wasseroberfläche eines Sees, gebrochen und ein anderer reflektiert wird? Ich sehe den Grund des Sees und Spiegelungen der Umgebung gleichzeitig.

Bei PhET Interactive Simulations, einem Projekt der University of Colorado Boulder, kannst du interaktiv simulieren wie Lichtstrahlen brechen und reflektieren.
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Lichtbrechung

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Funktionsweise

Nach diesen einleitenden physikalischen Grundlagen kommen wir zu den einzelnen Teilen des Handrefraktometers:

Lichtstrahlen treffen zuerst auf die von mir als Diffusor bezeichnete Kunststoffplatte. Die untere Seite kommt mir der flüssigen Probe in Kontakt und ist stark aufgeraut. Dies garantiert, dass das einfallende Licht gestreut wird und unter allen möglichen Winkeln in die Probe einfällt. Lichtstrahlen der Sonne beispielsweise, einer sehr weit entfernten Quelle, treffen nahezu parallel auf die Erde. Diese Kunststoffplatte macht daraus diffuses Licht.

Das Licht wird sowohl beim Übergang von Luft in den Diffuser, als auch auf dem Weg in die Probe gebrochen. Das muss für die weitere Erklärung nicht berücksichtigt werden, denn die raue Austrittsoberfläche stellt sicher, dass Licht unter allen möglichen Winkeln in die Probe eintritt. Ob es zuvor gebrochen wird oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

Nachtrag: Literatur und Informationen im Internet dazu sind eindeutig und schlüssig. Die Funktionsweise des Diffusors war damit für mich klar und wurde nicht weiter von mir hinterfragt. Ein Kollege hat mich nach der Erstveröffentlichung dieses BLJs darauf aufmerksam gemacht, dass bei diesem Bauteil nicht alles so klar ist wie es scheint. Dazu später –  in der Zusammenfassung – mehr. 

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Auf das Glasprisma wird ein Tropfen der Zucker-Wasser-Probe appliziert. Wird der Diffusor angelegt, bildet sich ein gleichmässig dünner Flüssigkeitsfilm aus, der mit diffusem Licht durchstrahlt wird.

Licht, das von der Probe ins optisch dichtere Glasprisma strahlt, wird zum Lot hin und beim Austritt aus dem Prisma in Luft wieder vom Lot weg gebrochen. Je nach optischer Dichte der Probe wird der Strahl stärker oder weniger stark gebrochen.

Bei reinem Wasser (Brechungsindex n = 1.3330 bei 20 °C) wird in diesem Versuchsaufbau das Licht am stärksten gebrochen. Eine Wasser-Zucker-Lösung ist optisch dichter (z. B. bei 10 m-% Saccharose und 20 °C ist n = 1.3479) und damit der Unterschied in den Brechungsindizes zu Glas (abhängig von der Glassorte n ~ 1.5) kleiner. Je grösser der Zuckergehalt umso geringer der Unterschied der Brechungsindizes zwischen Probe und Glas und damit auch die Brechung.
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Diffusor, Zucker-Wasser-Probe und Prisma zusammen lassen an einer Seite des Prismas ein Bild mit weissen Bereich oben und einen dunklen, blauen Bereich unten erscheinen. Das Hintergrundbild zeigt die zwei Bereiche. Die Trennung ist dort nicht scharf, da der Fokus der Trennlinie ein anderer ist als der des ganzen Prismas. Es kann also entweder die Trennlinie oder das Prisma scharf gestellt werden.
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Bei einer Recherche zur Refraktometrie stösst du unweigerlich auf das Phänomen der Totalreflektion. Überprüfe es gerne selber. Ich ging davon aus, dass es irgendwo im System Handrefraktometer zu einer Totalreflektion kommt.

Das folgende Video (von simpleclub) erklärt das Phänomen der Totalreflexion.
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Reflexion von Licht – Die Totalreflexion

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Beim Eintritt von der Probe ins Prisma? Oder wenn die Lichtstrahlen das Prisma wieder verlassen? Und wie entsteht daraus die Trennline zwischen hell und dunkel?

Ich kam nicht weiter und suchte Hilfe bei einem Fachhochschulprofessor, der sich mit optischen Systemen beschäftigt. Dieser behauptete, die Totalreflektion könne auch von einem optisch dünneren zu einem optisch dichteren Stoff stattfinden und stütze seine Aussage auf ein youtube-Video, das ein Abbe-Refraktometer erklärt. Das Abbe-Refraktometer funktioniert im übrigen ganz gleich wie unser Handrefraktometer, nur wird anstelle des Diffusors ein sogenanntes Beleuchtungsprisma verwendet.  

Diese Aussage des Spezialisten verwirrte mich vollends und so kamen unzählige Skizzen mit Prismen und Strahlenverläufen zustande.

Frage: Weiss ich denn selbst wie ganz einfache Dinge funktionieren? Könnten auch mir so grundlegende Fehler unterlaufen?
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Ein Optikingenieur bestätigte meine Vermutung, dass es zu keiner Totalreflektion im Handrefraktometer kommt. Bei umgekehrtem Strahlengang (vom optisch dichteren Prismenglas zur Zucker-Wasser-Probe) wäre der Winkel der Totalreflexion jedoch der gleiche wie der minimale Einfallswinkel ins Prisma, der rein durch die Geometrie des Prismas begrenzt wird.

In der Skizze im Hintergrund ist der am flachsten einfallende Strahl ins Prisma rot eingezeichnet (von Diffusor und Zucker-Wasser-Probe kommend parallel zur Primaoberfläche). Dieser flache Einfallswinkel entspricht dem Winkel der Totalreflexion, wenn ein Strahl umgekehrt vom optisch dichteren Glasprisma in die Probe einbrechen sollte. In der Skizze in blau eingezeichnet.

Dies alles erklärt nicht wie es zur Hell-Dunkel-Trennung kommt. Denn das Licht fällt auf der ganzen Fläche des Prismas ein. Lichtstrahlen die weiter oben einfallen, kommen auch weiter oben wieder aus dem Prisma heraus .

Der Optik-Ingenieur vermutetet, dass einer der Kanten des Prismas die Trennlinie bildet.
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Vermutungen oder Hypothesen sind in der Naturwissenschaft nicht genug. Es braucht den experimentellen Nachweis. Ich zerstörte alle Kanten des Prismas und bekam trotzdem die gleiche scharfe Trennung. Sogar dann, wenn die Prismenoberfläche nur teilweise mit der Probe benetzt ist.

Das Video im Hintergrund zeigt die Hell/Dunkel-Trennung bei zerstörten Prismenkanten und nur teilweiser benetzter Oberfläche. Zur Erinnerung: Die Trennlinie kann nicht gleichzeitig mit dem Prisma fokussiert bzw. scharf gestellt werden. Wenn du selbst mit dem Prisma experimentierst, wirst du je nach Betrachtungsweise auch eine scharfe Trennlinie wahrnehmen.
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Als nächstes versuchte ich, das Bild mit der Trennlinie auf einen Bildschirm zu projizieren. Ich stellte vor das Prisma ein weisses Blatt Papier und leuchtete mit einer starken Lichtquelle auf das Prisma samt Diffusor und Zuckerlösung. Egal in welchen Abstand der Papierbildschirm stand, es wurde nur ein diffuser weisser Lichtschein projiziert, aber kein Bild mit scharfer Trennline. Im Video siehst du diesen Versuch auf der rechten Seite.

Entsteht das Bild eventuell nur in Kombination mit einer optischen Linse? Tatsächlich, die Projektion mit zusätzlicher Sammellinse gelingt. Auf dem Papier ist die Trennung in dunkelblau und weiss deutlich zu sehen. Aber es steht nun seltsamer Weise auf dem Kopf! Die Bildprojektion mit Sammellinse wird im Video in der Mitte gezeigt. Dabei befindet sich die Linse im vorderen Teil des Gehäuses des Handrefraktometers. Dieser Teil mit Prisma, Sammellinse und Kalibrierschraube kann vom Handrefraktometer abgeschraubt werden.
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Um diese Bildprojektion zu verstehen, braucht es weitere Grundlagen. Dieses Mal zwei Erklärvideos von LIFIphysik.
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Optische Linsen

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Bedenke: Die beiden Videos erklären die Linsen mit Hilfe des Strahlenmodells. Mit Feynmans Modell der QED (s. Nebenerzählstrang QED) sieht die Modellierung gänzlich anders aus. Die interessierten BLJ-LeserInnen finden sie hier ab Minute 16:51.

Nochmals: Beide Modellvorstellungen haben nichts mit Wahrheit oder Wirklichkeit zu tun! Es sind Beschreibungen mit denen wir Vorhersagen treffen können. Nicht weniger und nicht mehr.
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Bildentstehung bei Linsenabbildungen

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Alle einfach verständlichen Lernvideos, die ich gefunden habe sind leider unvollständig. Daher präzisiere ich: Alle in eine sphärische Sammellinse parallel einfallenden Strahlen werden in einem Punkt auf der Brennebene abgebildet. Der Brennpunkt ist der Sammelpunkt aller Strahlen, die parallel zur optischen Achse einfallen. Fallen parallele Strahlen unter einen anderen Winkel ein, werden sie an einem Punkt der Brennebene abgebildet.

Bestimmt hilft dir dieses Video von Jan Yellow über Fernrohre, um optische Linsen besser zu verstehen.

Bei PhET kannst du die Bildentstehung bei optischen Linsen und vieles mehr interaktiv simulieren.
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Fernrohr-Vergrößerung berechnen

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Wie bereits thematisiert, gibt die Geometrie des Prismas den flachsten Einfallswinkel der Lichtstrahlen vor (der dem Winkel der Totalreflektion entspricht). Diese flach einfallenden (rot skizzierten) Strahlen werden durch das Prisma zwei Mal gebrochen und treten unter dem steilst möglichen Winkel nach oben, parallel aus dem Prisma aus. Kein Strahl kann mit einem steileren Winkel ausfallen, da geometriebedingt kein Strahl flacher einfallen kann, als parallel zur Probenoberfläche.

Lichtstrahlen können natürlich unter vielen anderen Winkeln ins Prisma einfallen. Dadurch gibt es unzählige Strahlen die weniger steil nach oben bzw. sogar nach unten ausfallen. Davon sind viele parallel zueinander, da auf der gesamten Prismenoberfläche Licht einfällt und nicht nur an einem Punkt. Das habe ich für einen Einfallswinkel mit grünen Strahlenpfeilen skizziert.

Ab einem bestimmten Einfallwinkel kommen die Strahlen nicht mehr an die Linse (blau). Der gesamte dunkle Bereich ist übrigens nicht komplett schwarz sondern blau. Dabei handelt es sich um Streulicht aus den blau lackierten Flächen des Prismas.

Die Sammellinse bildet anschliessend alle parallelen Strahlen in einem Punkt auf der Brennebene ab. Der höchste beleuchtete Punkt auf der Brennebene stammt vom parallel zur Messebene einfallenden Lichtstrahl (rot). Wie hoch der Strahl kommt, hängt davon ab, wie stark er vom Prisma gebrochen wird. Je weniger stark der parallele Strahl gebrochen wird, umso höher kommt er nach oben. Je optisch dichter der Flüssigkeitsfilm, also je mehr Zucker in der Probe enthalten ist, umso höher kommt das Licht.

Bei der Betrachtung des Prismas ohne Sammellinse war es aber genau umgekehrt. Oben hell und unten dunkel (s. fünf Seiter weiter oben, unter dem Titel: Zerstörte Prismenkanten)! Das liegt daran, dass bei direkter Betrachtung des Prismas die Linse unseres Auges verwendet wird, um eine Abbildung aus den parallelen Strahlen zu erhalten. Lichtpunkte, die auf die Netzhaut treffen werden vom Gehirn umgedreht, da die Sammellinse des Auges normalerweise die Welt auf den Kopf projiziert. Die digitale Kamera macht das natürlich auch. Analoge Fotoapparate haben das Bild mit Spiegeln aufgerichtet, aber der Film wurde kopfüber belichtet. Vielleicht kennt ihr noch alte Diaprojektoren. Dort musste auch das Dia kopfüber nach unten eingelegt werden, um ein aufrechtes Bild zu projizieren.

Frage: Wie habe ich es geschafft, mir trotz aller Widerstände und Fehlinformationen eine schlüssige Erklärung für die Hell-Dunkel-Trennung zu erarbeiten? 
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Die Sammellinse nach dem Prisma kann zusätzlich zum kalibrieren verwendet werden. In diesem Video siehst du was im Inneren passiert, wenn an der Kalibrierschraube gedreht wird.

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Durch die Kalibrierschraube und eine Feder wird die plankonvexe Sammellinse hinter dem Prisma nach oben oder unten verschoben. Dadurch verschiebt sich das gesamte Bild in die selbe Richtung. Die Animation zeigt das exemplarisch für einen einzigen Strahl. Weiter aussen an der Linse wird der Strahl stärker gebrochen als in der Nähe der optischen Achse. Darum wird ein Bildpunkt weiter nach unten projiziert, wenn die Linse nach unten verschoben wird.
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Von der Sammellinse (mit Kalibrierfunktion) wird das Bild (die Hell-Dunkel-Trennung) auf die in ein Glas geätzte Skala projiziert. Um ein scharfes Bild zu erhalten, muss die Skala im richtigen Abstand positioniert sein.

Die Skala ist in unserem Fall für die Vermessung einer Zucker-Wasser-Lösung zwischen 0 und 30 Brix vorgesehen. Es gibt Handrefraktometer für andere Lösungen, z. B. für Salz- oder Alkoholgehaltsbestimmung. Mit einer anderen Skala kann das selbe Gerät für gänzlich verschiedene Anwendungen eingesetzt werden.

Mit einer Lupe, in unserem Fall bestehend aus zwei plankonvexen Linsen im festen Abstand, kann das Bild inkl. Skala vergrössert und scharf gestellt werden.

Das ausgewählte Video (von light-microscope.net) zeigt ein weiteres Mal die Funktionsweise der Lupe. Bei der Verwendung von zwei Linsen ist die Vergrösserung höher, das Prinzip ist das gleiche.
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Erklärung: Wie funktioniert eine Lupe?

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Zusammenfassung

Eine flüssige Probe wird mit einer Platte – dem Diffusor – auf der Prismenoberfläche verteilt. Der Diffusor streut das einfallende Licht, dadurch fällt es unter allen möglichen Winkeln ins Prisma ein. Das Prisma und eine Sammellinse erzeugen zusammen ein Bild: unten hell, oben dunkel(blau) mit scharfer Trennlinie. Die Höhe der Trennlinie hängt vom Zuckergehalt bzw. der optischen Dichte der flüssigen Probe auf der Prismenoberfläche ab. Bei höherem Zuckergehalt (optisch dichter) ist die Trennlinie weiter oben.

Das Bild wird auf eine kalibrierte Skala geworfen und durch eine Lupe betrachtet. Mit der Trennlinie kann in unserem Gerät auf der Skala direkt der Zuckergehalt in Brix abgelesen werden. Es gibt Handrefraktometer für verschiedene Anwendungen, z. B. um den Salz- oder Alkoholgehalt einer wässrigen Lösung zu bestimmen.

Nachtrag: Die Funktion des Diffusors war für mich sonnenklar. Bis mein Kollege Prof. Ulrich Schütz nach der Erstveröffentlichung dieses BLJs eine Frage in Form eines Experiments an das Handrefraktometers stellte.

Frage: Was passiert wenn der Diffusor abgedeckt wird?

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Simpel erscheinende Frage sind manchmal fundamental. Grundlegendes ist nicht notwendigerweise beantwortbar. Trotzdem oder gerade deswegen musst du Fragen stellen, um Antworten zu erhalten. Die Welt entdecken, heisst die Welt erfragen. Sei es durch verbale Fragen an Spezialisten oder durch experimentelle Fragen an die Natur.

Für deine Experimente stellen wir dir im Projekt Berzelius viele Messgeräte zur Verfügung.

Ist eine Frage befriedigend beantwortet, scheint die Antwort logisch und manchmal stelle ich mir im Nachhinein sogar die Frage, warum ich das eigentlich hinterfragen musste. Es wurde zu meinem Wissen und trägt damit zu meinem Verständnis der Welt bei.

«Es hört doch jeder nur, was er versteht.» (Johannes Wolfgang von Goethe, 1749–1832, deutscher Dichter und Naturforscher)
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Ausblick

Beim nächsten Mal stelle ich dir unser vollautomatisches Gerät vor und analysiere und thematisiere damit Zucker. Ich habe bereits Fanta aus mehr als zehn Ländern gesammelt und möchte dir unter anderem zeigen, wie eine Blindverkostung und eine Doppelblindstudie funktioniert.

Dieses Gerät funktioniert gänzlich anders und nutzt tatsächlich das Phänomen der Totalreflexion, um damit den Zucker-, Salz- oder Alkoholgehalt indirekt zu bestimmen.
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Impressum

Autor: Dr. Martin Novotny

Editor-in-Chief und Projektleiter: Dr. Alfred Steinbach

Herausgeber: Prof. Dr. Nicolas Robin
Berzelius-Editorial-Team in alphabetischer Reihenfolge:
Dr. Adrian Brugger, Dr. Martin Novotny, Markus Roth, Dr. Alfred Steinbach, Eva Steingruber, Dominik Tschirky
Kamera, Film und Schnitt: Dr. Martin Novotny,
Patrick Massen (Medienwerkstatt PHSG)

Berzelius – Im Hightech-Labor der Naturwissenschaften ist ein gemeinsames Projekt des  Instituts Mathematische, Naturwissenschaftliche und Technische Bildung der PHSG (vormals Institut Fachdidaktik Naturwissenschaften) und der Metrohm Stiftung.
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Nachtrag

Die Überraschung: Auch nach Abkleben der Oberfläche des Diffusors funktioniert das Refraktometer einwandfrei. Einzig die Skala ist weniger gut ausgeleuchtet.
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Das macht kaum einen Unterschied zu dem nur an der Oberfläche abgeklebten Diffusor.
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Auch so funktioniert das Handrefraktometer. Allerdings ist der Kontrast zwischen den beiden Bereichen deutlich geringer. Abkleben der Vorderkante verleiht dem helleren Bereich einen Blaustich.

Fazit: Der Grossteil des benötigten Lichts (parallel zur Prismaoberfläche) dringt weder über die Oberfläche noch die Seitenkanten des Diffusors ins Refraktometer ein, sondern über des Diffusors Vorderkante .

Auf der Erde werden Sonnenstrahlen von allen Oberflächen reflektiert. Auch in der Luft vorhandene Gas- und Aerosolmoleküle – das sind Mischungen von festen oder flüssigen Partikeln in einem Gasgemisch – streuen das Licht, weshalb das Licht diffus ist. Wenn Licht über die Vorderkante einfällt, ist die Strahlenrichtung bereits geometriebedingt ungefähr parallel zur Prismenoberfläche. Nur Licht, das von oben ins Refraktometer einfällt, muss wie beschrieben vom Diffusor bis in die Richtung parallel zur Prismenoberfläche gestreut werden. 
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Licht, das über die vordere Kante des Diffusors eindringt könnte ebenso durch die aufgeraute Oberfläche auf das Prisma zurück reflektiert werden.

Dieses Experiment zeigt, dass ein aufgerauter Bereich nicht zwingend notwendig ist. Anstelle des Diffusors liegt eine Glasplatte auf Probe und Prisma. Als Glasplatte habe ich einen Objektträger der Mikroskopie verwendet.

Die Messung funktioniert, nur ist das Ergebnis weniger kontrastreich als mit Diffusor.
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Auch wenn die Vorderkante der Glasplatte sehr schmal ist, fällt gerade noch genügend Licht parallel zur Prismenoberfläche ein, um mit dem Refraktometer den Zuckergehalt zu bestimmen. Zumindest bei guten Lichtverhältnissen. Alle Experimente zum Diffusor erfolgten an einem sonnigen Tag im Schatten eines Gebäudes.
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Nach diesen Experimenten hätte ich erwartet, dass die Messung auch mit einem Tropfen der Probe auf der Prismenoberfläche funktionieren würde. Das Experiment verneint meine Erwartung.

Ich erkläre mir das so: Die Form des Tropfens lässt kein Licht parallel zur Prismenoberfläche einfallen. Um meine Erklärung zu verifizieren, müssten weitere Experimente durchgeführt werden. Das sprengt jedoch den Rahmen dieses Journals. Eventuell hast du Lust diese Frage z. B. im Rahmen einer Maturaarbeit zu beantworten und hier zu veröffentlichen?
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Warum ist ein Diffusor am Refraktometer angebracht, obwohl er nicht benötigt wird? Zu prüfen wäre noch, ob er bei schlechten Lichtverhältnissen nicht doch notwendig wird.

Falls nicht, fällt mir spontan eine (nicht verifizierte) Erklärung ein: Das Handrefraktometer ist eine Weiterentwicklung des ersten Refraktometers von Ernst Abbe aus dem Jahre 1874. Sein Messprinzip ist dem des Handrefraktometers sehr ähnlich. Anstelle des Diffusors tritt ein sogenanntes Beleuchtungsprisma. Ein zweites Prisma, das mit der längsten Seite symmetrisch auf dem ersten sitzt. Zwischen den beiden Prismen befindet sich der Flüssigkeitsfilm der Probe. Das Licht kommt von einer künstlichen Quelle innerhalb des Gerätes und trifft in diesem Fall tatsächlich nahezu parallel in die Prismen ein. Darum muss  zwingend die Oberfläche des Beleuchtugsprimas aufgeraut sein, um das Licht wie beschrieben diffus zu machen.

Unser Diffusor des Handrefraktometers könnte also ein Überbleibsel des Abbe-Refraktometers sein. Bei der Weiterentwicklung wurde diese konstruktive Komponente übernommen, ohne zu prüfen, ob sie notwendig ist.

Solche Überbleibsel gibt es nicht nur in der Technik. Besonders häufig sind sie in der Informatik, die sogenannten redundanten Codes. Die Evolution der Lebewesen hat ebenso Überflüssiges bestehen lassen.

Abbe-type refractometer by Carl Zeiss of Jena (refractometer) by Carl Zeiss, Optische Werkstaette, Jena is licensed under CC BY-NC-SA 4.0.
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Überbleibsel der menschlichen Evolution sind z. B. die Körperbehaarung, die Weisheitszähne, das Steissbein, die männliche Brustwarze oder die Ohrmuskulatur.

Die meisten Menschen können mangels Training ihre Ohren nicht willentlich bewegen. Diese Funktion wird nicht mehr benötigt, ist aber prinzipiell möglich. Bei einigen Tieren hat die Bewegung der Ohren eine soziale Funktion und dient der Kommunikation. Andere nutzen die Ohren als Richtantenne, um ein Geräusch orten zu können. Ein Elefant fächelt mit den Ohren, um sich zu kühlen.

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Ich belasse in den Prinzipskizzen und Animationen dieses BLJs die Einstrahlung ins Refraktometer von oben durch parallele Strahlen des Sonnenlichts. Einerseits, um nicht zu verwirren, andererseits, um mit diesem Nachtrag zu zeigen, dass das Generieren von Wissen ein evolutionärer Prozess ist. Wissensbildung ist ein langer, holpriger und kurviger Weg.
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Sortengarten, warum?

Vermutlich hat fast jeder als Kind einen Obstkern in die Erde gesteckt aus dem ein Pflänzchen gewachsen ist. Mein Apfelbaum ist leider verkümmert, lange bevor er Früchte tragen konnte. Bis heute dachte ich, dass mein Baum genau so leckere Früchte tragen würde, wie diese süsse Frucht, deren Kern ich eingesetzt habe.

Mit biologischen Fragestellungen bin ich als Ingenieur kaum konfrontiert. Bis an dem Tag, an dem ich das Video im Kirschsortengarten gedreht habe, um den Einsatz des Handrefraktometers zu demonstrieren. Folgende SpezialistInnen des Landwirtschaftlichen Zentrums SG halfen mir weiter: Herr Richard Hollenstein für Obst, Herr Simon Strahm für Getreide und Frau Vivienne Oggier für Gemüse.
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Eine Art ist gemäss der biologischen Definition eine Gruppe von Organismen, die sich untereinander fortpflanzen und fruchtbaren Nachwuchs erzeugen können. Die meisten Obstarten sind sogenannte Fremdbefruchter. Das bedeutet, um sich fortzupflanzen wird ein Pollen eines anderen Baumes benötigt. Aprikosen, Nektarinen, Pfirsiche oder manche Pflaumensorten befruchten sich sowohl fremd als auch selbst.

Bei der Fremdbefruchtung wird das Genmaterial von den zwei beteiligten Bäumen gemischt. Die Eigenschaften der aus den bestäubten Blüten entstehenden Früchte werden nur von dem Baum bestimmt (Genotyp) auf dem sie wachsen. Die Kerne dieser Frucht sind Träger einer hohen genetischen Variabilität; die entstehende Frucht ist ein genetisches Zufallsprodukt, ähnlich wie Kinder bei uns Menschen. Bei einem einzigen Apfel sind das bis zu zehn Kerne und damit auch bis zu zehn Sorten. Jedes dieser «Kinder» sieht anders aus und hat andere Eigenschaften. Auch Geschwister ähneln sich nur bedingt.

Im Hintergrund siehst du eine Sammlung reifer Kirschen des Seveler Sortengartens, die sich nicht nur im Geschmack sondern auch im Aussehen stark unterscheiden. Vielen Dank an Eva Körbitz der RhyTOP GmbH für dieses Foto!
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Die unterschiedlichen «Kinder» des Obstes nennt man Sorte. Diese Sorte kann nur durch eine vegetative Vermehrung mit Pflanzenteilen, also durch eine Art «Klonen», reproduziert werden. Im Obstanbau wird dazu ein für das Klima und den Boden optimierter Baum (Unterlage) gezogen, auf dessen Stamm die gewünschte Sorte durch Okolieren aufgebracht wird.

Die Sorte Golden Delicious beispielsweise ist ein Zufallssämling aus dem Jahr 1890 aus West Virginia, USA. Gärtner bewahrten ihn und machten ihn ab zirka 1940 weltweit bekannt. Aus seinem Erbgut stammen auch die im Handel erhältlichen Sorten wie Elstar, Jonagold, Gala, Cripps Pink, Rubinette oder Pinova.

Bei der Obstzucht werden zwei Obstsorten miteinander gezielt händisch bestäubt und sehr viele Kerne daraus aufgezogen. Ob daraus eine Sorte mit den gewünschten Eigenschaften entsteht, hängt zum Teil vom Genmaterial der beiden Ausgangssorten und viel vom Zufall ab. Da werden schon einmal ein paar tausend Apfelbäume aufgezogen, bis eine neue Sorte entsteht.
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Eine wilde Kirsche veredeln | MDR Garten

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Ein allein stehender fremdbefruchteter Obstbaum kann also keine Früchte tragen. Es muss zwingend ein Baum gleicher Art in mehren hundert Metern Umgebung stehen, also im Einzugsgebiet der Bestäuber, was zumeist die Bienen übernehmen. Der Baum muss aber von einer anderen Sorte sein, denn wie erwähnt, die gleiche Sorte wäre nur ein Klon und für einen Fremdbestäuber nicht geeignet.

In einer Obstplantage wird eine Menge Obst von nur wenigen Sorten produziert. Das gelingt am besten, wenn direkt gegenüber eine zweite Sorte des selben Obstes steht. Welche Sorten am besten kombinierbar sind – die Sorten müssen beispielsweise zur selben Zeit blühen – und wie ein solcher Obstanbau gestaltet werden soll ist eine Wissenschaft für sich. Einen guten Überblick erhältst du in diesem Dokument von Agroscope.
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Jetzt ist mir klar, warum es den Aufwand eines Sortengartens mit 200 Bäumen braucht, um ein paar Kirschensorten zu erhalten. Habe ich allerdings eine Antwort gefunden, tauchen mindestens zwei neue Fragen auf. Das ist das Leid mit dem wachsenden Wissen. 

Ich frage mich, woher die Bienen wissen, dass sie immer nur eine Art pro Ausflug anfliegen sollen. Es bringt ja nichts, wenn sie den Blütenstaub eines Löwenzahns in eine Apfelblüte bringen. Auch muss die Biene von Baum zu Baum wandern und nicht von Blüte zu Blüte desselben Baums.

In der Zeitschrift GEO kompakt Nr. 62 – Das geheime Leben der Insekten finde ich in einem Interview mit Prof. Dr. Jürgen Tautz des Biozentrums der Universität Würzburg zumindest eine Antwort: «Und anders als andere Bestäuberinsekten besitzen Honigbienen die Eigenschaft der Blütenstetigkeit. Wenn eine Biene morgens Glockenblumen besucht, bleibt sie den ganzen Tag über konstant bei dieser Pflanzenart – zu deren Nutzen. Denn so tragen die Bienen keinen Glockenblumenpollen zu einer Kirschblüte, wo sie ja verschwendet wären. Das funktioniert aber natürlich nur, wenn sie sich verschiedene Blüten merkt. Und diese Fähigkeit ist nicht etwa genetisch angelegt, sondern wird von der Biene erst erworben. Sie kommt quasi Tabula rasa (Anm.: also als unbeschriebenes Blatt)  zur Welt: Sie weiss nichts, doch sie lernt alles, und das auf Anhieb. Ist sie nur ein einziges Mal auf einer Salbeiblüte gelandet, vergisst sie fortan nie mehr den speziellen Duft. Noch viel spannender wird es allerdings, wenn ihr die Intelligenz eines Bienenvolks betrachtet. Zehntausende von Tieren bilden einen durchorganisierten Staat und vollbringen zusammen verblüffend komplexe Leistungen – zu denen wäre das Einzelinsekt niemals fähig.»

Wie Bienen miteinander kommunizieren, erfährst du in diesem Film.
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Bienentanz (Schwänzeltanz)

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Das gäbe ganz schon zu tun, wenn jeder Weizenhalm eines Feldes veredelt werden müsste. Weizen kann sich auch selbstbefruchten und ist so halbwegs samenfest. Das heisst, die Samen des selbstbefruchteten Weizens können wieder als Saatgut verwendet werden. Die Bestäubung findet durch Wind statt und es muss darauf geachtet werden, dass kein anderes Weizenfeld in der Nähe ist. Denn es gibt natürlich verschiedene Weizensorten, die sich z. B. im Backverhalten oder Glutengehalt unterscheiden.
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Auch die meisten Gemüsesorten können sich selbst befruchten und sind damit halbwegs samenfest. Ein kleiner Tomatenanbaubetrieb kann die Kerne seiner Tomaten als Samen setzen. Er wird dabei natürlich die Kerne der Tomaten nehmen, die ihm besonders geeignet scheinen. Durch diese Vorgehensweise züchtet er sich seine gewünschte Sorte heran. Trotz Selbstbefruchtung unterscheidet sich natürlich jede Tomatenpflanze ein wenig.

Kommerziell wird sogenanntes F1-Hybride-Saatgut verwendet, auch um den Heterosis-Effekt auszunutzen. Was das genau ist, fragt ihr? Die Antwort auf diese Frage dürft ihr selbst recherchieren. 


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Pflanzen können nicht nur generativ, über den Samen, sondern auch vegetativ, also über Pflanzenteile vermehrt werden. Diesen Effekt macht man sich bei der Kartoffel zu nutzen. Eine Kartoffelknolle treibt schneller aus und ist resistenter als ein Kartoffelsamen. Die Knolle hat gegenüber dem Samen den weiteren Vorteil, dass sie wie beim Obst ein Ableger oder Klon der gewünschten Sorte und somit in den Eigenschaften exakt vorbestimmt ist.

Genug des Ausflugs in die Biologie der Kulturpflanzen. Zurück zum eigentlichen Thema, dem Handrefraktometer.
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Etwas verstehen?

Der junge Bertrand Russell war fasziniert von der Klarheit und Eindeutigkeit der Geometrie – bis er auf das Parallelenaxiom stiess: die Tatsache, dass ein Punkt ausserhalb einer Geraden von nur einer Parallelen zu dieser Geraden durchlaufen werden kann.

Was nutzt ein Beweis, der auf so etwas Unbewiesenem aufbaut? Nun, sogar der griechische Mathematiker Euklid (3. Jahrhundert v. Chr.) musste irgendetwas als gegeben annehmen. Für Russell ein Moment grosser Enttäuschung, gleichzeitig aber auch Antrieb für den Rest seines Lebens.

Foto: "Bertrand Russell 1872 - 1970" by oneredsf1 is licensed under CC BY-NC-SA 2.0


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Während seines Mathematikstudiums wollte Russell von seinem Professor wissen, wie dieser Infinitesimal definiert. Natürlich als das, was unendlich klein ist, infinit eben, bekam er zur Antwort. Aber das sei ein Zirkelschluss! Er könne einen Begriff nicht definieren, indem er ihn zum Teil der Definition mache, so Russell. 

Er hatte gehofft, durch das Studium zum Wesen der Wahrheit vorzustossen; stattdessen brachte man ihm billige Rechentricks bei. Die Mathematik ist für Russell wie ein Strandhaus: auf Sand gebaut wird es versinken.

Russell war hungrig nach gesicherten Wissen. Er wurde Logiker. Logik kombiniert Bekanntes, um zu Unbekannten vorzudringen. Dazu benutzt die Logik eine formale, symbolische Sprache.

Schon nach Aristoteles steckt in der Logik eine neue und zwingende Beweisführung. Neu, weil wir aus Unbekanntem Bekanntes machen. Zwingend, weil logische Schlussfolgerungen unausweichlich sind.

Alle Männer sind sterblich. Sokrates ist ein Mann. Also ist Sokrates sterblich. Zwei bekannte Aussagen ergeben einen neuen und zwingenden Schluss. Genau diese Art von Argumentation hat der deutsche Philosoph, Mathematiker, Jurist, Historiker und politischer Berater Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) in ein symbolisches System übertragen, das der englische Mathematiker, Logiker und Philosoph George Boole (1815–1864) weiterentwickelte.
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Als Logiker verlor Russell sein ursprüngliches Ziel nicht aus den Augen: Gesichertes Wissen über die Welt zu gewinnen. Wissen, dass nur durch Wissenschaft erlangt werden konnte.

Aber die Wissenschaft brauchte die Mathematik, und die war total verhunzt, durchsetzt von unbewiesenen Voraussetzungen und Zirkelschlüssen. Um sie zu reparieren, bedurfte es einer kraftvollen Logik. Aber die war nur ein Schatten ihrer selbst. Die Mathematik erschien Russell wie das Bild, das sich die indische Mythologie von der Erde machte: Ihre vermeintliche Festigkeit hing von den Launen ihrer Träger ab (Elefanten und eine Schildkröte; dabei symbolisiert die Weltenschlange Ananta die Unendlichkeit, s. Hintergrundbild). Wie die Welt ruhte die Mathematik für Russell auf wackeligem Fundament.

Gottlob Frege (1848–1925,  deutscher Logiker, Mathematiker und Philosoph) gilt als Vater der modernen Logik. Er meinte, dass wir, um die Realität zu verstehen zunächst eine Sprache kreieren müssen, die durch und durch logisch ist. Nur eine solche Sprache könne es mit den Grundlagen der Mathematik aufnehmen. Es mussten Variablen ins Spiel gebracht werden mit denen wir Aussagen treffen können wie «x ist ein Mann».

David Hilbert (1862–1943, deutscher Mathematiker) meinte sinngemäss in seinem berühmten Vortrag, den er im Jahr 1900 auf dem Mathematikkongress  in Paris über die Probleme der Mathematik hielt: «Intuition hat in unseren Beweisen nichts mehr zu suchen. Die neue Mathematik wird nichts mehr als intuitiv gegeben zulassen! Es gibt keine Wahrheit, wenn sie nicht die Feuerprobe strenger Beweisführung besteht! Was die Axiome einer Theorie betrifft, so sind sie Ausgangspunkt des logischen Prozesses. Wir müssen uns aber von dem Selbstverständnis verabschieden, sie hätten einen natürlichen Wahrheitswert. Mehr als ihre logische Haltbarkeit können wir von Ihnen nicht verlangen! Unsere Plagegeister sind Widerspruch und Paradox! Damit die Mathematik also auch hinfort als Königin der Wissenschaft regieren kann, müssen wir sie von allem befreien, was nicht rein und strikt logisch ist! Den mathematischen Beweis müssen wir auf einen Prozess reduzieren, der so genau ist, dass er von einer Maschine ausgeführt werden kann, die mit den entsprechenden Regeln ausgestattet ist. Die Zahl ist das Mark eines jeden Zweiges der Mathematik. Demgemäss ist die Arithmetik – das Teilgebiet der Mathematik, dass sich mit Zahlen, Reihen, Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung beschäftigt – der Fels, auf dem sich alle unsere Wahrheiten gründen müssen! Um Mathematik über jeden Zweifel erhaben zu machen, müssen wir erst mal die Arithmetik auf völlig sicheren Grund bauen.»
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Russell und Whitehead taten sich zusammen, um die Logik komplett neu aufzubauen. Sie hofften, den neuen Tempel der Logik in zwei Jahren vollenden zu können.

Das Grundproblem des Projekts bestand nach wie vor. Je tiefer sie in der Fragestellung vordrangen, desto mehr zweifelten sie an ihren Prämissen, den Annahmen.
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Egal, wie tief sie vordrangen, ihr ach so solides System war auf Sand gebaut. Schlimmer noch, Russell verglich die Grundlagen der Mathematik mit der Schildkröte, auf deren Panzer der Kosmos der Sage nach ruhte. Letztlich endeten all ihre Bemühungen, dieses Tier auf einen festen Grund zu stellen, in einem Turm von Schildkröten, eine unter der anderen!
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Ihr Buch sollte so klar und einfach verständlich sein wie 1 + 1 = 2. Um diese Aufgabe zu lösen, brauchten sie ganze 362 Seiten! Man stelle sich vor: 362 Seiten, um zu beweisen, was jedes Kind weiss.

Für den Philosophen war die Ironie eines Grundlagensystems ohne feste Grundlagen schwer zu ertragen. Dennoch, trotz seiner anfänglichen Zögerlichkeit, sagte Russell schliesslich ja zu der Veröffentlichung: Vielleicht würde das Buch ihm ja auch dabei helfen, neue Mitkämpfer zu finden.

Nach mehr als zehn Jahren wurden die ersten drei Bände der Principia Mathematica veröffentlicht; die weiteren geplanten Bände erschienen nie. Die Autoren mussten die Druckkosten selber bezahlen, da sie keinen Verleger fanden.

Dreissig Jahre nach der Veröffentlichung meinte Russell nur eine einzige Person getroffen zu haben, von der er sicher weiss, dass sie sich durch die zirka zweitausend sperrigen und symbolbepackten Seiten gekämpft hat: Kurt Gödel (1906–1978, österreichischer und später US-amerikanischer Mathematiker, Philosoph und einer der bedeutendsten Logiker des 20. Jahrhunderts). 

"Principia Mathematica" by brewbooks is licensed under CC BY-SA 2.0
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Wittgenstein stellte die fundamentalen Prämissen von Russell über Wesen und Natur von Wahrheit infrage. Das beunruhigte Russell zutiefst, rüttelte es doch an einem seiner wichtigsten Stützpfeiler, seinem Glauben an eine objektive Wahrheit!

Wittgenstein untersuchte das Potenzial der Sprache in Bezug auf die Wahrheit. Die Kernaussage seiner Sprachtheorie ist, dass die Welt rein durch die Sprache abgebildet wird. Im ersten Weltkrieg, Auge in Auge mit dem Tod, gelangte Wittgenstein zu seiner fundamentalsten Erkenntnis: «Der Sinn der Welt findet sich nicht in der Welt!»

Falls du mehr über die Suche nach Logik erfahren möchtest, empfehle ich dir LOGICOMIX – Eine epische Suche nach Wahrheit. Übrigens habe ich Inspiration und Information dieses Nebenerzählstranges über Logik aus diesem Comic.

Was hat das jetzt alles mit unserem Thema zu tun? Das Refraktometer basiert auf Phänomenen, die mit Hilfe physikalischer Modelle beschrieben werden können. Warum sich beispielsweise das Licht so verhält, wie es sich verhält, lässt sich schliesslich, wie in der Logik, nicht grundsätzlich klären. Auch in der Physik braucht es Annahmen, die nicht bewiesen werden können. Der Sand also auf dem das Gebäude errichtet wird oder die Schildkröten, die die Last des Kosmos tragen. Meine Ausgangsfrage, ob wir irgendetwas bis ins letzte Detail verstehen können, müssen wir nun eindeutig mit nein beantworten.

Gödel – du erinnerst dich – der als einziger gesichert Russells Buch gelesen hat, konnte sogar beweisen, dass es in der Mathematik immer unbeantwortbare Fragen geben wird, der sogenannte Unvollständigkeitssatz. Das ist die Schönheit der Mathematik und ihr Schrecken. Um einen Beweis kommt man nicht herum, selbst wenn der beweist, dass etwas nicht zu beweisen ist! Für viele Mathematiker das Ende eines Traums. Zurück zur Physik und deren unbeweisbaren Annahmen.
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Die Axiome der Newtonschen Mechanik beruhen auf Beobachtungen und Experimenten. Sie sind reproduzierbar aber nicht beweisbar und damit widerlegbar. Trotzdem kann darauf gebaut werden, wie alle unsere technischen Errungenschaften demonstrieren.
  1. Newtonsche Gesetz (Trägheitsprinzip): Jeder Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder gleichförmig geradliniger Bewegung, solange keine Kraft auf ihn wirkt.
  2. Newtonsche Gesetz (Aktionsprinzip): Wirkt auf einen Körper eine Kraft, so wird er in Richtung der Kraft beschleunigt. Die Beschleunigung ist der Kraft direkt        (F = m·a), der Masse des Körpers umgekehrt proportional (F/m = a).
  3. Newtonsche Gesetz (Reaktionsprinzip): Besteht zwischen zwei Körpern A und B eine Kraftwirkung, so ist die Kraft, welche von A auf B ausgeübt wird, der Kraft , die B auf A ausübt entgegengesetzt gleich. («Actio = Reactio»)
Die Berechnungen von Raketenflugbahnen, Bewegungen der Planeten oder auch die Grundlagen der Wettervorhersagen beruhen auf diesen drei unbeweisbaren Annahmen (Axiomen). Alle Bewegungs- oder Gravitationsgesetze lassen sich  daraus ableiten. Diese sind dann Theoreme, aus Axiomen einer wissenschaftlichen Theorie gewonnene Lehrsätze. Aber nicht alle physikalischen Modelle bedienen sich der gleichen Axiome.
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Bei grossen Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit (299'792'458 m/s) führt die Newtonsche Mechanik zu falschen Vorhersagen. Es brauchte ein neues Gedankengebäude mit neuem Fundament.
  1. Zwei Beobachter, welche sich mit konstanter Geschwindigkeit relativ zueinander bewegen, stellen die selben physikalischen Grundgesetze fest. Alle Inertialsysteme (ein Koordinatensystem in dem die Newtonschen Axiome gültig sind ) sind unter allen Bedingungen gleichberechtigt.
  2. Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist für alle Beobachter eine absolute Konstante. Sie ist von der Geschwindigkeit der Lichtquelle und derjenigen des Beobachters unabhängig.
Das ist aber immer noch nicht der letzte Weisheit Schluss. Im ganz kleinem, also im atomaren und subatomaren Bereich, versagen Einsteins Theorien und wir betreten die verwirrende Welt der Quantentheorien. Dazu später mehr.  Zurück jetzt zum Handrefraktometer.
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Billiges Refraktometer?

Dass chinesische Händler billig nach Europa versenden können, ist auf ein Schlupfloch im Postrecht zurückzuführen. Seit 1874 gibt es den Weltpostverein, die United Postal Union (UPU), der China noch als Entwicklungsland führt und die Möglichkeit bietet die Waren zu Spottpreisen in die Welt zu verschicken.

Der Weltpostverein hat 2016 beschlossen, die Tarife für Kleinwarensendungen aus China von 2018 bis 2021 jährlich um 13 % zu erhöhen. Die Kostendeckung der Post hat sich dadurch etwas verbessert; die Portopreise sind aber immer noch vergleichsweise niedrig.
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Die meisten in Europa angebotenen Handrefraktometer stammen aus China, das in den letzten Jahrzehnten zur Werkbank der Welt wurde. 

Wie sind die vergleichsweise hohen Preise in Europa zu rechtfertigen? Oder anders gefragt: Wie sind die enorm tiefen Preise der chinesischen Produkte zu verstehen? Wie kann China so günstig produzieren und trotzdem den Lebensstandard seiner Bevölkerung steigern? Was ist eigentlich Geld und wie entsteht es? Wie wird eine Währung bewertet und wie kann diese künstlich hoch oder tief gehalten werden? Wie ist es möglich, dass jeder Staat verschuldet ist, und wer sind die Schuldner? Mit diesen scheinbar simplen Frage öffnete ich die Büchse der Pandora.

Ich nehme es gleich vorweg. Ich kann diese erste Frage in diesem BLJ zum Handrefraktometer nicht befriedigend beantworten. Je mehr ich mich mit den Hintergründen zu Wirtschaft und Geld beschäftige, desto mehr schaute ich in einen Abgrund, desto mehr erschien mir alles als Voodoo-Zauberei und Gaunerei. 

Interessant ist auch die wenig bekannte Tatsache, dass es gar keinen  Wirtschaftsnobelpreis gibt. Aus gutem Grund. Alfred Nobel (1833–1896, schwedischer Chemiker und Erfinder) hat die Wirtschaft nicht als Wissenschaft gesehen. Bereits eingetretene wirtschaftliche Ereignisse können lediglich im nachhinein analysiert und unter Umständen begründet werden. Vorhersagen ähneln dem Kaffeesatzlesen. Das widerspricht dem Gedanken der Modellbildung der Naturwissenschaften, deren Zweck eine präzise Vorhersage ist. Ähnlich sieht das die Figur Hélène, in Michel Houellebecqs Roman Karte und Gebiet. Hier der Auszug.

Es ist somit kein Nobelpreis, sondern der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. Mit dem wohlgemerkt Alfred Nobel nichts zu tun hat. Erst 1968 stiftete die schwedische Nationalbank den Preis.
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Nichts als Voodoo-Zauberei und Kaffeesatzlesen. Ihr meint, ich ginge mit der Wirtschaftswissenschaft zu hart ins Gericht? Analysieren wir einmal die Basis unserer Wirtschaft, das Geld.

Das Wesen des Geldes hat sich seit seiner Entstehung mehrmals geändert. Die Prägung der Münzen war einmal ihr Materialwert. Später hatten Nationalbanken das gesamte umlaufende Geld mit Goldreserven gesichert. Die auszutauschenden Schuldscheine mutierten zu standardisierten Banknoten.

Heute ist das meiste umlaufende Geld sogenanntes Buchungsgeld. Es sind nur Zahlen auf Papier oder in einem Computersystem. Das dies funktioniert, basiert rein auf unserem Vertrauen, das es funktioniert! Neu geschaffenes Buchungsgeld ist im Wesen ein geliehener Wert aus der Zukunft. Wie es funktioniert ist durchaus mit Zauberei gleichzusetzen. 

Wenn du heute von einer Bank eine Million Franken für den Bau eines Hauses leihst, dann «zaubert» die Bank eine Million Franken Buchungsgeld aus dem Nichts! Tatsächlich «ist dieser Vorgang, mit dem Banken Geld aus dem Nichts erschaffen, so einfach, dass er dem Denken widerstrebt» meinte James K. Galbraith (1908–2006, kanadisch-US-amerikanischer Ökonom, Sozialkritiker, Präsidentenberater und Diplomat).

Du gibst anschliessend das Geld den Handwerkern und einige Zeit später steht dein Haus und ist mindestens die geliehen eine Million Franken wert. Das von der Bank geliehene Geld stammt also zum Zeitpunkt der Kreditvergabe aus der Zukunft und spiegelte den Wert des noch zu bauenden Hauses wieder. Verrückt oder?

Geld und Wirtschaft sind in der globalisierten Welt kaum vollständig zu begreifen.

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Bei digitalen Währungen wird es noch verrückter. Heute, Anfang 2022, gibt es rund 17'000 verschiedene Kryptowährungen. Die bekannteste davon beginnt mit einem Schöpfungsmythos. Das Konzept von Bitcoin wurde 2008 von Satoshi Nakamoto auf einer Mailingliste über Kryptographie vorgeschlagen. Bis heute ist nicht bekannt, ob es sich bei Satoshi Nakamoto um den Namen einer real existierenden Person, eines Pseudonyms oder Sammelpseudonyms für mehrere Personen handelt.

Die Währung Bitcoin ist im Grunde eine digital erzeugte Knappheit: Die Maximalmenge ist auf 21 Millionen Bitcoins beschränkt. Die Währung basiert auf der Blockchain-Technologie, also einer Datenbank, der laufend Informationsblöcke zugefügt werden, die eine Kette bilden. Jeder Block enthält eine neue Zahlungsanweisung sowie Teile des dezentralen Gesamtsystems und einen Ankopplungsschlüssel. Um neue passende Blöcke der Kette zu erzeugen, benötigt es viel kryptografischer Rechenleistung und somit viel echter Ressourcen. Wie beim Goldschürfen werden  Ressourcen wie Energie, Arbeitszeit etc. aufgewendet, weshalb der Prozess  auch als Bitcoinschürfen (Mining) bezeichnet wird. 2021 wurden rund 0.5 % des weltweiten Energieverbrauches für das Bitcoin-Schürfen benötigt, etwa der Energiebedarf der Niederlande.

Eine einseitige Sichtweise? Wie viel Energie braucht das weltweite Finanzsystem für Prunk, Infrastruktur und IT? Leider kann ich dazu keine Zahlen finden. Ich vermute, dass der Verbrauch um ein Vielfaches höher ist.

Heute werden Bitcoins im Wert von mehreren Milliarden Dollar pro Tag fehlerfrei transferiert. Jede Transaktion ist für immer ins System eingebrannt und vollständig rückverfolgbar. Es gibt keine Zentralinstanz, die alles kontrolliert und beherrscht. Alle Informationen liegen geschätzt auf weltweit ca. 100'000 Computern.

Geld verändern, heisst Welt verändern. Stellen wir uns eine Gesellschaft mit Bitcoin als Währung vor, sozusagen eine Trennung von Staat und Geld. Kein Platz für Diktatoren. China hat aus diesem Grund bereits alle Bitcoin-Schürfer des Landes verwiesen!

Kein Model der Welt kann vorhersagen, was in diesem Fall wirklich passieren würde. Wie einzelne Menschen ihr Verhalten ändern würden und was das für das Gesamtsystem bedeutete. Alles Spekulation. Ein markanter Unterschied zu den modellbildenden Naturwissenschaften.
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Trotz umfassender Recherchen verstehe ich von Geld, Märkten, Preisen und der gesamten Wirtschaft immer noch zu wenig, um darüber aufklären zu können. Wirtschaftliche Zusammenhänge sind nicht mit physikalischen vergleichbar. Sie basieren unter anderem auf Instikten wie Angst oder Gier, Emotionen und Mythen und vielen weiteren Faktoren.

Ich werde weiterhin über die Wirtschaft nachdenken.  Dieses «Gespenst» das uns voran und in die Irre treibt.

Abschliessend zwei Buchtipps, die nicht unbedingt die Standardauffassungen der Wirtschaftswissenschaften vertreten, mich aber besonders zum Nachdenken angeregt haben:
  • Michael Goodwin, Dan E. Burr: Economix – Wie unsere Wirtschaft funktioniert (oder auch nicht), aktualisierte Neuauflage 2018.
  • Yanis Varoufakis: Time for change: Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre, 2016.
Die ursprüngliche Frage, warum das Handrefraktometer so billig ist, ist damit nicht geklärt. Aber wahrscheinlich gibt es auf viele Fragen keine Antworten?
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Brix, %?

"Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei." (Paracelsus)

Was Paracelsus (1493/94–1541), der Schweizer Arzt, Naturphilosoph und Alchemist, im bekannten Zitat anspricht, hat nichts von seiner Gültigkeit verloren. Heute hat die Dosis nur einige Lesarten mehr als zu Paracelsus' Zeiten: In Form mannigfaltiger Konzentrationsangaben ist sie in unserem Alltag allgegenwärtig, von der Qualität des Trinkwassers über die Zusammensetzung von Lebensmitteln und Kraftstoffen sowie Schadstoffen in Spielzeug und Kleidung bis hin zu den Wirk- und Trägerstoffen in Arzneimitteln. Die zulässigen Höchstkonzentrationen der Inhaltstoffe sind ebenso wie die einzusetzende Analysenmethode (Chromatographie, Spektroskopie, RFA oder Titration) weltweit in Normen festgelegt. Ziel der Grenzwerte ist es, Mensch und Umwelt zu schützen.

Die sogenannte Qualitätskontrolle im Labor zeigt an, ob die Grenzwerte über- oder unterschritten sind. Mit anderen Worten, ob das Produkt für den Gebrauch bzw. Verzehr zugelassen werden kann. Das passiert heutzutage mit der leistungsstarken, instrumentellen Analytik, also mit Hightech-Geräten wie wir sie im Berzelius-Projekt anbieten. Die Disziplin, die sich mit der qualitativen (was ist drin?) und quantitativen Analyse (wieviel ist drin?) beschäftigt, nennt sich Analytische Chemie. Hier spielen die beaknnten ISO- und DIN-Normen eine grosse Rolle. Weitere Normen zur Getränkeanalytik findest du im BLJ zur Ionenchromatographie

Wir werfen nun einen Blick in die Welt der Konzentrationsangaben. Nur so können Schadstoffgrenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO), unscheinbare Prozentangaben auf Etiketten oder Resultate der analytischen Chemie verstanden und eingeordnet werden. 





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Vorher/Nacher Ansicht

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Ein Ethanol-Wasser-Gemisch eignet sich zur Vertiefung der unterschiedlichen Konzentrationsangaben. 
Starte unten links die Vorher/Nachher-Ansicht. Löse die gestellten Aufgaben. Durch Verschieben des Reglers im Bild blendest du die Lösungen ein.
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Massenprozent, Volumenprozent, Molprozent - sind nicht die einzigen Prozentangaben, die im Alltag auftauchen und Schwierigkeiten bereiten. Die grössten Klagen über Schulabsolventinnen und Absolventen betrifft die fehlende Kompetenz im Prozentrechnen. Wie ist das möglich, da die Prozentrechnung grösste Relevanz für Gesellschaft, Politik, Alltag, Medienkonsum und Beruf mit sich bringt?
Die folgenden beiden Grundsätze bringen uns dem Problem näher:
  1. Prozentwerte befinden sich zwischen 0 und 100
  2. Prozentwerte beschreiben einen Anteil eines Ganzen
Der erste Grundsatz verursacht Probleme psychologischer Natur: Eine hohe Zahl entspricht einer grossen Menge - so denken zumindest viele. Prozente beschreiben keine Menge, sondern einen Anteil! Dafür müssen die Bezugswerte für die Rechnung ermittelt werden. Erst die Feststellung der Bezugsmenge, die 100% entspricht, erlaubt einen Prozentwert zu interpretieren.

Ein Beispiel aus der Politik:
"Die Schweizer Stimmbevölkerung will Tabakwerbung stärker einschränken. 56,6 Prozent haben für die Initiative 'Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung' gestimmt. Es ist die 25. Volksinitiative, die an der Urne angenommen wird. Nach dem Ja wird künftig jegliche Art von Tabakwerbung, die Kinder und Jugendliche erreicht, verboten" (Aargauer Zeitung)

Was bedeuten diese 56.6 Prozent? Klare Sache? Volksmehrheit? Mehr als 4.5 Millionen Menschen?

Studiere die Animation im Hintergrund und ziehe die Gedanken nach. Was bedeuten diese 56.6% wirklich?

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QED, eigenartiges Licht

Im Hintergrund siehst du ein Kleid in einem Schaufenster. In der Glasscheibe spiegelt sich die Strassenszene vor dem Geschäft. Partielle Reflexionen beobachten wir ständig, die Erklärung des Phänomens ist alles andere als trivial.

Folgender Versuch führt zu verblüffenden Ergebnissen: Eine Lichtquelle sendet einzelne Photonen auf eine Glasscheibe. Ein Detektor misst wie viele Photonen ins Glas eindringen und ein zweiter wie viele reflektiert werden. Wir messen z. B., dass von 100 Photonen 5 reflektiert werden. Damit fangen die Schwierigkeiten bereits an. Wie entscheiden die einzelnen Photonen wohin sie wollen? Und warum hängt der Reflexionsgrad von der Dicke der Scheibe ab und variiert zwischen 0 und 16 %?

Wenn die Fensterscheibe im Hintergrund immer dicker wird, nimmt die Reflexion ab, bis gar kein Licht mehr gespiegelt wird. Noch dickeres Glas reflektiert wieder bis zu dem Maximum von rund 16 % der einfallenden Photonen. Die weitere Zunahme der Glasstärke vermindert die Reflexion, bis sie wieder auf null ist usw.

Schon Newton versuchte dieses Problem mit Korpuskeln (Teilchen) zu lösen. Später war die Wellentheorie teilweise erfolgreich, brach aber bei schwachem Licht in sich zusammen: Obwohl das Licht immer schwächer wurde, klickte der Detektor weiterhin in voller Stärke, nur weniger oft. Das Licht verhielt sich wie Teilchen.

So sehr wir uns auch bemühen, wir können nicht vorhersagen, ob das nächste Photon reflektiert wird oder nicht. Wir können nur die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ereignisses berechnen.
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Richard Feynman (1918–1988, US-amerikanischer Physiker und Nobelpreisträger des Jahres 1965) bringt den Laien im Buch QED – Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie in vier Lesungen die Quantenelektrodynamik (QED) näher. Stoff, der PhysikstudentInnen erst im letzten Studienjahr zugemutet wird.

Feynman meint: «Nein, sie werden nichts begreifen ... Auch meine Physikstudenten verstehen es nicht. Und zwar, weil ich es nicht verstehe. Niemand begreift es.... Ich kann nicht erklären, warum sich die Natur so und nicht anders verhält.»

Es kommt in der Physik nicht darauf an, ob uns eine Theorie passt oder nicht. Sondern darauf, ob die Theorie Vorhersagen erlaubt, die mit den Ergebnissen des Experiments übereinstimmen.

Feynman veranschaulicht sein didaktisches Vorgehen mit einer Analogie. Die Maya-Indianer hatten ein kompliziertes System aus Strichen und Punkten entwickelt, um unter anderem die nächste Mondfinsternis vorherzusagen. Diese Berechnung erforderte die Subtraktion zweier Zahlen. Ein Priester der Maya-Indianer konnte nun entweder den Zusammenhang zwischen Strichen und Punkten und alle Subtraktionsregeln erklären, oder er zeigte uns, wie er von einem abgezählten Haufen Bohnen eine bestimmte Anzahl wegnimmt und den Rest abzählt. Ineffizient aber leicht begreiflich.

Feynman erklärt uns zwar, was Physiker machen, aber er geht nicht auf die mathematischen Tricks ein, die sie zusätzlich benutzen. Um QED praktizieren zu können, müssen wir nur eine Unmenge kleiner Pfeile auf ein Blatt Papier zeichnen.

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Photonen können nach dieser Theorie jeden möglichen Weg von der Quelle zum Detektor nehmen (z. B. im beschriebenen Experiment der partiellen Reflexion zwei Seiten vorher) und der muss nicht einmal geradlinig sein. Die meisten Wege interferieren jedoch weg, und übrig bleibt der Strahlengang aus dem Strahlenmodell.

Zur Berechnung des Strahlenganges wird aus seltsamen, sich drehenden Pfeilen eine Resultierende konstruiert, deren Länge zum Quadrat die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens des Ereignisses ist.

Wer in dieses Konzept hinein schnuppern möchte, empfehle ich dieses Video (aus der Serie Urknall, Weltall und das Leben).

Verzweifle nicht, wenn du den Inhalt des Videos nicht verstehst. Die Lichtquelle sendet natürlich keine rotierenden Wahrscheinlichkeitspfeile aus. Denke an die rollende Hantel im Video zur Lichtbrechung. Die Pfeile sind abstrakte Modellvorstellungen, die korrekte Ergebnisse liefern.

Wer mehr über Feynman erfahren möchte und was es mit der im Video erwähnten Oben-Ohne-Bar auf sich hat, dem empfehle ich das autobiografische Buch Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman!: Abenteuer eines neugierigen Physikers oder das Comic Feynman: Ein Leben auf dem Quantensprung. Im Comic wird sogar auf ein paar Seiten die QED erklärt.
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Quantenelektrodynamik (QED) • Fermat reloaded • Aristoteles zur Stringtheorie (36) | Josef M. Gaßner

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Der Preis für eine solche Theorie ist die Aushöhlung des «gesunden Menschenverstandes». Wir müssen uns wohl oder übel damit abfinden, dass sich die Natur in höchst bizarren Verhaltensweisen gefällt: das sich beispielsweise Licht nicht nur geradlinig ausbreitet, dass sich Photonen schneller oder langsamer bewegen als mit der herkömmlichen Lichtgeschwindigkeit, dass Elektronen in der Zeit zurück laufen können, das Photonen in ein Positron-Elektronen-Paar (ein Positron ist das Antiteilchen des Elektrons) zerfallen und sofort.

Zur Erklärung aller Phänomene die die QED modelliert – und das sind die meisten – stecken nur drei Grundvorgänge zwischen Elektronen und Photonen:
  1. Ein Photon wandert von einem Ort zu einem anderen.
  2. Ein Elektron bewegt sich in der Raumzeit von Punkt A nach Punkt B.
  3. Ein Elektron emittiert oder absorbiert ein Photon – was beides auf das selbe hinaus läuft.
Damit haben wir das ganze Geheimnis, aus dem sich alle übrigen Gesetze der Physik ableiten lassen. Mit Ausnahme der Gravitation und der Kernphysik. Dieses letzte Prozent der Phänomene fordert jedoch nach derzeitigem Kenntnisstand weit mehr verschieden Teilchen und Vorgänge als die QED benötigt.

Die QED hier in wenigen Seiten zu erklären ginge zu weit. Für den Einstieg empfehle ich den Meister der Didaktik selbst: QED – Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie.

Hintergrundbild:"Quantum Gravity Photon Race" by NASA Goddard Photo and Video is licensed under CC BY 2.0
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Keine Angst, ich verwende die QED nicht weiter, um das Handrefraktometer zu erklären. Die Refraktometrie bis ins letzte Teil zu verstehen ist unmöglich. Diese Nebenerzählung sollte dir ein weiteres Gefühl dafür gegeben haben.

Richard Feynman meinte einmal: «Niemand findet jemals heraus, worum es im Leben wirklich geht, aber das spielt keine Rolle. Erkunde die Welt!». Wir werden hier nicht einmal heraus finden, wie das Handrefraktometer wirklich funktioniert, aber trotzdem befolge ich Feynmans Rat und bleibe neugierig und erkunde weiter. Ein einfaches Erklärungsmodell, das auf dem Strahlenmodel basiert, wird sich finden lassen.

Hintergrundbild: "File:RichardFeynman-PaineMansionWoods1984 copyrightTamikoThiel bw.jpg" by Copyright Tamiko Thiel 1984 is licensed under CC BY-SA 3.0

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Fragen, fragen, fragen!

Stelle Fragen! An dich selber, an die Natur durch das Experiment, an Freunde, an Spezialisten. Frage solange, bis dir ein möglichst schlüssiges und lückenloses Konzept vorliegt, das dich überzeugt. 

Um die im Prisma ablaufenden, simplen Phänome zu verstehen, musste ich stundenlang, ach was sage ich, tagelang, grübeln, recherchieren, zeichnen, Spezialisten löchern. Nirgendwo bekam ich eine vollständige, korrekte und vor allem verständliche Erklärung. Ich war selbst gefragt, musste selbst ran.

Ob meine Erklärungen korrekt und schlüssig sind, kann ich auch nicht mit 100%iger Sicherheit sagen. Falls du Zweifel oder Fragen hast, freue ich mich über Kritik und Rückmeldungen. 
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Du kannst nicht viel Neues herausfinden, wenn du vorher keine Frage gestellt hast. Um zu fragen, bedarf es des Zweifels. Die Freiheit zu zweifeln, ist nicht selbstverständlich. Wir haben das Glück in der richtigen Zeit am richtigen Ort zu leben, um gefahrlos zu zweifeln. Nutze sie! 

Mein Rat: Gehe aus keiner Unterrichtseinheit, aus keinem Vortrag oder Workshop, aus keiner Diskussion, ohne mindestens eine Frage gestellt zu haben. Wenn du beispielsweise die Bedeutung eines Wortes nicht kennst, frage nach. «Wenn wir ein neues Wort lernen, ist das, als ob wir einen neuen Freund finden». So drückte es der amerikanische Schriftsteller Richard Yates in seiner Kurzgeschichte  Spass mit Fremden aus. Ein grossartiger Blick auf die Welt, finde ich: neue Wörter sind wie neue Freunde. Wenn du einen Sachverhalt nicht verstehst, frage solange, bis du ihn wirklich begriffen hast. Sei dir ganz sicher; du bist nicht der einzige im Auditorium, der Fragen hat. 

Dies hat nichts mit objektiver Naturwissenschaft zu tun, sondern mit meinen subjektiven Erfahrungen. Darum zurück zum Handrefraktometer.
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Osmose

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Die Physik vermag alltägliche Fragestellungen zu beantworten, wie die z. B., warum reife Kirschen platzen. In diesem Video erfährst du, wie der osmotische Druck in der Kirsche mit deren Zuckergehalt zusammenhängt.

Ein Kommentar zum Video: Die Entropie beschreibt natürlich nicht die Unordentlichkeit, sondern die Unordnung!

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Fahrrad oder WC?

Wie funktioniert ein Fahrrad? Um diese Frage drehte sich die Studie der Psychologin Rebecca Lawson. Konkret bat sie 80 Versuchspersonen, einige vorgegebene Details in eine grobe Skizze eines Velos einzuzeichnen. Scheinbar ein Kinderspiel, so dachten die Teilnehmer. Weit gefehlt. Viele verbanden die Kette sowohl mit Vorder- als auch Hinterrad. Sollte wohl so eine Art Allradantrieb werden! 45 % der Teilnehmer konnten Kette und Pedale nicht positionieren. Bei vielen sassen die Pedale funktionslos irgendwo am Rahmen! «Ich ahnte nicht, wie wenig ich über diese Dinge wusste, bis ich sie zeichnen musste», kommentierte ein Proband seine Veloskizze. Du lachst? Dann nimm Papier und Bleistift zu Hand und erklärt anhand einer Skizze, wie eine Klospülung funktioniert.

Weitere einfache Fragen, welche die Psychologen Leonid Rozenblit und Frank Keil im Jahr 2002 in Rahmen einer Studie ihren Versuchsteilnehmern stellten, gingen um die Funktionsweise eines Reissverschlusses, Dosenöffners oder Tachometers. Auch hier waren die Beschreibungen ebenso dürftig wie bei der Fahrrad-Aufgabe. Die Forscher gaben dieser scheinbar instinktiven Selbstüberschätzung einen Namen: «Illusion der Erklärungstiefe». Illusion? Ja, weil die Probanden vorher angaben, all diese Dinge zu verstehen. 

Der griechische Philosoph Sokrates, wusste, dass er nichts wusste. Typisch Philosophen, diese schrägen Aussagen. Die Denkhaltung aber wohl eher eine Ausnahme. Denn auch die beiden US-amerikanischen Psychologen David Dunning und Justin Kruger schlossen in einer im Jahr 1999 veröffentlichten Publikation, dass Unwissenheit der Teilnehmer das Selbstvertrauen beflügele. Überrascht? Weitere Studien zur Selbsteinschätzung in Mathematik und Grammatik bestätigten, dass gerade die Teilnehmer, die ihre Kenntnisse als besonders gut eingeschätzt hatten, in den Prüfungen ein schlechtes Ergebnis erzielten. Umgekehrt erzielten diejenigen, die sich selbst unterschätzt hatten, deutlich bessere Ergebnisse. Das Überschätzen der eigenen Fähigkeit wurde fortan als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet.

Es scheint, dass das Erkennen der eigenen Dummheit bereits eine gewisse Intelligenz erfordert. Eine interessante Paradoxie, die auch der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen in seinen Roman Unschuld aufgreift: Andreas Wolf, einer von Franzens Protagonisten, beschäftigt sich, kurz bevor er den Stiefvater seiner Geliebten ermordet, genau mit diesem Gedanken: «Dummheit missversteht sich als Intelligenz, während sich Intelligenz ihrer Dummheit bewusst ist.» 

Totale Anfänger überschätzen sich selten. Sie sind noch intelligent genug, um sich ihr Nichtwissen klarzumachen. Es sind gerade die Halbanfänger, die zur Überschätzung neigen. Heisst dies, dass es eine kritische Menge von Wissen gibt, die verdummt? Auch der englische Dichter Alexander Pope (1688–1744) erkannte die Gefahr des Halbwissens: «A little learning is a dangerous think». Unser Halbwissen zieht sich durch die Welt, von Klospülungen über Künstliche Intelligenz und Klimawandel bis hin zu den bei vielen Querdenkern beliebten Verschwörungserzählungen. Gerade während der Corona-Pandemie zeigte sich diese instinktive Selbstüberschätzung. Menschen, die Polymerase Chain Reaction (PCR) nicht einmal buchstabieren können und die Viren mit Antibiotika bekämpfen wollen, fühlen sich berufen, ihre Meinung zu den PCR-Tests und der Gefährlichkeit der Impfungen in die Welt zu posaunen.  
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Karte und Gebiet

Helénes Interesse für die Wirtschaftswissenschaften war im Lauf der Jahre ziemlich erlahmt, Sämtliche Theorien, die wirtschaftliche Phänomene zu erklären und ihre Entwicklung vorherzusagen versuchten, kamen ihr immer unbegründeter und gewagter vor. Sie neigte inzwischen dazu, sie für reinen Schwindel zu halten. Sie fand es überraschend, dass es überhaupt einen Wirtschaftsnobelpreis gab, als könnten diese Fachrichtungen die gleiche methodologische Strenge und die geistige Gewissenhaftigkeit wie Chemie oder Physik für sich in Anspruch nehmen […] das geistige Niveau ihrer Studenten war erschreckend niedrig, man musste sich manchmal sogar fragen, was sie dazu veranlasst hatte, zu studieren. Die einzige Antwort darauf, dass wusste sie im Grunde, war ihr Wunsch, Geld zu verdienen, möglichst viel Geld zu verdienen; trotz einer kurz aufflammenden Begeisterung für humanitäre Belange war das das Einzige, was sie wirklich interessierte. Hélènes Berufsleben bestand im Grunde daraus, karrieregeilen Dummköpfen absurdes, widersprüchliches Zeug beizubringen, wenn sie es auch vermied, es sich in so deutlicher Form einzugestehen.
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